Die Luft ist von einem nervösen Summen untermalen, die Spannung beinahe atembar. Daran kann auch die freundliche Mittagssonne nichts ändern, sie zeichnet harte Schatten auf hunderte entschlossene Gesichter, die sich auf dem Zürcher Paradeplatz zum internationalen Kampftag der Frauen versammeln. Vom Hotel Savoy aus an den Banken entlang erstreckt sich das farbige Meer aus Aktivist*innen, Bannern und Umzugswagen, die um 13.30 Uhr den Anfang der Demonstration erwarten. «8. März UNITE – Kämpfe verbinden weltweit! Gemeinsam gegen Vereinzelung, Krieg und Patriarchat» lautet die Parole des Tages. Eine Abspaltung des feministischen Streitkollektivs Zürich, 8MRZUNITE, hat bereits vor Wochen mit Plakaten, Flyern und Sprayereien alle FLINTAQ-Personen zur heutigen Versammlung aufgerufen. Cis-Männer sind zum Fernbleiben angehalten. Auf eine Bewilligung der Stadt wurde laut ihrem Instagram-Communiqué bewusst verzichtet, bei der Bewilligungspflicht handle es sich um ein «repressives Instrument des Staates». Die Polizeisperre aus Gitterzäunen und zahlreichen Gesetzeshütenden in Vollmontur rund um das Gelände wirkt trotzdem übermütig. Verdutze Shopper bahnen sich ihren Weg durch die Masse und an den blauen Wasserwerfern vorbei, die wie übergrosse Spielzeuge auf den Tramschienen der Bahnhofstrasse stehen. «Dies ist eine unbewilligte Demonstration. Solange sie friedlich verläuft, wird sie von der Polizei toleriert.» Die Frauenstimme aus den Lautsprechern der SBB-Anlage übertönt das Gemurmel der Versammelten in regelmässigen Abständen.
Nicht zur Dekoration hier
«Immerhin waren sie so schlau, das von einer Frau ausrufen zu lassen». Wendy Buck rückt sich die Sonnenbrille zurecht und blickt Richtung Tramhaus, wo vermummten Gestalten gerade eine Leiter angelegt haben, um das Herzstück des Paradeplatzes zu erklimmen. Die 32-Jährige wird begleitet von ihrer langjährigen Freundin Leila Drobi, ebenfalls 32 – sie teilen sich ein Bier und eine Vergangenheit in der Lokalpolitik. Dass sie heute hier sind, mit pinkem Lidschatten und violetter Kriegsbemalung im Gesicht, ist kein Zufall. Besonders Drobi, ein Mitglied im Vorstand der SP Schlieren, setzt sich seit über zehn Jahren beruflich – bis letztes Jahr beim Verein Tatkraft – und privat für Gleichberechtigung und die Rechte von Minderheiten ein. Die beiden überzeugten Feministinnen haben schon am eigenen Leib erfahren, was das Frausein in einer patriarchalen Gesellschaft bedeuten kann. Kennengelernt haben sie sich im Fussball, waren im selben Jahrgang an der Kantonsschule Limmattal. Zusammen waren sie von 2012 bis 2018 für die SP im schlieremer Gemeindeparlament. «Als wir noch gemeinsam im Rat waren, wurden wir von einem Mitglied unserer eigenen Fraktion als schöne Dekoration bezeichnet» schildert Drobi, mit Streitlust in den Augen. Auch Buck betont, dass es jungen Frauen in der Politik nicht einfach gemacht wird, selbst von anderen Frauen. Ständig wurde sie hinterfragt, ihr ein tatkräftiger Einsatz beinahe unmöglich gemacht. Deshalb ist sie schlussendlich auch ausgetreten, bedient sich heute anderer Formen des Aktivismus. Drobi hält das Mandat bis heute inne. «Und unsere Geschichte ist dabei harmlos im Vergleich zur Unterdrückung, mit der Frauen weltweit zu kämpfen haben», unterstreicht sie Bucks Punkt. Aber deshalb seien sie hier, um auch für diejenigen einzustehen, die Unterdrückung in extremeren Formen erfahren, wie die Frauen im Iran oder Palästina.
Siamo tutti antifascisti
Fünf in Balaklavas gehüllte Aktivist*innen, eine Person als Donald Trump verkleidet, erreichen unter lautem Beifall das Dach, platzieren eine Mensch-grosse, pinke Faust und wuchtige Boxen auf dem Tramhaus. Eine Rede wird angestimmt, zwei Mikrofone funktionieren nicht, die Worte des Widerstands sind schwer zu verstehen. Die Kernaussage jedoch schon. Nicht nur die Misogynie, sondern auch imperialistische Kriege der Herrschenden, faschistische und reaktionäre Hetze, Patriarchat und Kapitalismus sollen aus der Gesellschaft verbannt werden. Hinter ihnen prangt das in Baustellengerüste verpackte UBS-Gebäude. Heute trägt es die riesige Werbeschrift «Antrieb für eine starke Wirtschaft» in selbstironischer Manier. «Siamo tutti antifascisti!». «Gegen das Konstrukt aus Volk, Nation und Rasse – für uns gibt’s nur eins, Klasse gegen Klasse!». Die Parolen werden voller Enthusiasmus aus allen Winkeln des Platzes nach gebrüllt. Die Stimmung schwingt um, Euphorie breitet sich in der Menge aus. Laute Rufe und Kampfschreie befeuern ein kollektives Gefühl des Aufbruchs.

Es braucht ganzheitliche Veränderung
Buck und Drobi stimmen in die Gesänge der Versammelten ein, machen sich bereit für den Abmarsch. An Tagen wie diesen fühlen sie sich mit ihren Anliegen nicht allein. «Es ist schön zu sehen, wie viele Menschen Veränderung schaffen wollen». Drobi lobt ebenfalls, wie intersektional die Themen der Demonstration gewählt wurden. «Die Gesellschaft braucht eine Grundsanierung. Es kann nicht sein, dass Frauen einfach gepusht werden und die alten weissen Männer in ihren faschistischen Systemen ersetzen». Der Umzug beginnt, Seite an Seite laufen die Freundinnen los, winden sich an den Mitstreiter*innen vorbei bis fast ganz vorne durch. Laute Musik beginnt aus auf Leiterwagen gespannten Lautsprechern zu dröhnen, Frauenmusik aus kräftigen Beats und wütenden Texten. Es wird gesungen, geklatscht, marschiert. Zur Dekoration ist heute niemand gekommen.
